Leitfaden

Herausforderung: Lebensrelevanz - „Konfi – da geht es um mich ganz persönlich!“

Wenn individuelle Lebenswelt auf kirchliche Tradition trifft

„Wenn ich tot bin, werd' ich ein Adler.“ – Antwort eines Konfirmanden auf die Frage nach seiner Vorstellung vom Jenseits.

Konfirmandinnen und Konfirmanden heute stehen vor einer Vielzahl von Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. „Die“ Jugendkultur gibt es nicht mehr. Der eine mag Schlager, die andere Heavy Metal. Das ist in Ordnung, wenn es selbstbewusst vertreten wird. Dasselbe trifft auf die politische Richtung oder die ethische oder religiöse Einstellung zu. Vielleicht nicht alles, aber doch sehr vieles geht. Du musst dich nur entscheiden. Es ist kaum noch möglich, sich auf einen gemeinsamen Konsens zurückzuziehen, weil es den nicht mehr gibt. Im Vergleich zu früheren Generationen fehlen weitgehend allgemein anerkannte Regeln und Normen. In einer ohnehin unsicheren, weil von Umbrüchen geprägten Lebensphase stehen die Mädchen und Jungen ständig vor Entscheidungen. In dieser Unübersichtlichkeit wird Orientierung immer schwieriger. Es geht nicht mehr darum, sich mit zusammenhängenden Normen- und Wertsystemen auseinanderzusetzen – dagegen zu rebellieren oder sich einzuordnen, sondern um eine persönlich begründete Auswahl von Fall zu Fall. Das Verhältnis Individuum und Gesellschaft ist kein System der Einordnung sondern der Entscheidung. Der Sinn kommt nicht mehr von oben, sondern von der Seite, von Gleichgesinnten: der innere „Like it Button“. Permanent auf „Like it“ oder „Not Like it“ zu drücken, führt zu einem privatisierten Verhältnis zu Kultur und Gesellschaft. Ich bestimme, was mir passt und was mir nicht passt, und daraus entsteht ein Weltbild.

Die Teile müssen nicht unbedingt miteinander harmonieren. Das einzelne Individuum steht im Mittelpunkt und schafft sich eine Eigenwelt, durchaus mit unterschiedlichen Ausprägungen, je nachdem, ob sie beispielsweise auf die Familie, die Peergroup oder Schule bezogen ist. Es ist schwer, diese Eigenwelt zu verlassen, wenn sie einen gewissen Grad an Selbstverständlichkeit erreicht hat. In ihrem Fokus steht das, was das Individuum selbst erlebt und erfahren hat; vor allem das zählt und hat Anspruch auf Relevanz. Folgerichtig geht es Jugendlichen besonders um Wissen und Kenntnisse, mit denen sie unmittelbar etwas anfangen können. Diese sollen helfen, Wege im Dschungel der Unübersichtlichkeit zu bahnen. Solches „Navi-Wissen“ zeigt, wie man durchs Leben kommt. Was muss ich tun, um dieses oder jenes zu erreichen?

Damit schrumpfen die Bereiche, die für Jugendliche in dieser Altersstufe insgesamt eine unmittelbare Lebensrelevanz haben. Schule geht für viele Jugend­liche deshalb am Leben vorbei, weil ihre Themen und das Wissen, das dort vermittelt wird, häufig nicht direkt einsetzbar sind und kein „Navi-Wissen“ darstellen. Diese Situation löst sich allerdings nicht durch Anpassung an die Relevanzkorridore der Jugend­lichen, indem nur Themen behandelt werden, mit denen sie unmittelbar etwas anfangen können. Konfirmandenarbeit muss es (ähnlich wie Schule) aushalten, dass aus Sicht der Jugendlichen und subjektiv gespiegelt es um Themen geht, die nur mäßig interessant sind. Die Aufgabe der Konfirmandenarbeit ist es, diese Eigenwelten der Jugendlichen zu weiten und mit ihnen Lebens­fragen so zu erschließen, dass sie sich daran weiterentwickeln können. Möglicherweise steht am Ende der Konfi-Zeit nicht die Einsicht, relevante Lebensfragen geklärt zu haben, sondern „nur“ ein größeres Interesse an religiösen Fragen, die noch ungelöst bleiben. Damit ist dann viel erreicht.

Zentrale Lebensfragen für die Jugendlichen in diesem Alter sind: „Wer bin ich, wer war ich und wer möchte ich sein?“ „Was für ein Mann, was für eine Frau will ich sein?“ Die Antworten suchen sie vor allem im Spiegel anderer, bevorzugt Gleichaltriger: „Wie reagieren andere auf mich? Welche Wirkung kann ich bei ihnen erzielen?“ Die Frage nach dem Ich suchen Jugendliche im Spiegel des Du zu beantworten. Sie reagieren stets vor einem imaginären Publikum. Die Omnipräsenz des Internets gibt ihnen dazu die Möglichkeit zu jeder Stunde. Und so wird die zentrale Frage der Identitätsbildung bei Jugendlichen heute umformuliert. Aus der Frage : „Wer bin ich?“ wird ein „Zu wem gehöre ich?“. In der Konfi-Zeit kann daraus die Frage erwachsen: „Gehöre ich zu Gott?“

Hilfreich ist es, den Konfis Mitbestimmungs­mög­lich­keiten bei der Auswahl der zu behandelnden Themen einzuräumen. Nur wo die Fragen der Konfis bekannt sind, kann gemeinsam nach Anworten gesucht werden.

Lebensrelevante Konfirmandenarbeit hat die Aufgabe, die Frage nach dem „Ich“ in unterschiedlichen thema­tischen Zusammenhängen immer wieder zum Klingen zu bringen. Biblische Traditionen und Bilder, Inhalte kirchlicher Tradition und theologische Deutungsmuster können daraufhin befragt werden, ob und was sie dazu beitragen, dass Jugendliche sich selbst als wertvolle Menschen sehen können – unabhängig von der Anzahl der „Likes“ in sozialen Medien. Auch die anderen existentiellen Fragen der Konfirmandinnen und Konfirmanden können mit den Zeugnissen der christlichen Tradition ins Gespräch gebracht werden. Das kann gelingen, wenn die alten Texte und Erfahrungen an die Lebenswelt der Jugendlichen „andocken“.

Auch wenn man sich die Religiosität der Konfir­mandinnen und Konfirmanden anschaut, findet man eine große Unübersichtlichkeit. Die religiösen Vorstellungen eines pubertierenden Jugendlichen sind alles andere als einheitlich. In der modernen Welt der Globalisierung bieten sich unterschiedliche Religionen zur Glaubenspraxis an. Der christliche Glaube ist nicht mehr die einzige Möglichkeit der Religionsausübung in Deutschland. Man kann an Gott glauben und zugleich an das Schicksal oder den Zufall. Man kann nicht an Gott glauben, aber trotzdem auch einmal beten. Die Vorstellungen sind überwiegend konventionell. Gott beschützt und begleitet einen. Doch wie Gott begleitet und schützt, ist offen, fraglich und unsicher. Dieser Gott – wenn es ihn gibt – erscheint auf merkwürdige Weise omnipräsent und nicht fassbar zugleich. Bei alldem ist der christliche Glaube keine Selbstverständlichkeit. In der Konfi-Zeit wird seitens der Kirche zu oft wie selbstverständlich auf einer Zustimmungsbasis des Glaubens geredet. Der Nicht-Glaube, besser die Nicht-Plausibilität des Glaubens ist bei den Konfis aber auch vertreten und muss ernstgenommen werden.

Jugendliche, unsicher ihrer eigenen Identität, leben auch eine religiöse Unsicherheit. Diese muss in der Konfirmandenarbeit akzeptiert werden. Sie braucht Raum. Sie darf nicht durch zu schnelle, zu fertige und zu kircheneigene Antworten übertüncht werden.